„Eine Reise zu den Wurzeln der Familie
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Kölnische Rundschau
KREIS EUSKIRCHEN EIFEL-LAND
Dienstag, 17. Juni 2014 – Seite 37

Eine Reise zu den Wurzeln der Familie
Rolf Künstlicher besuchte Kall – Seine Mutter Esther Nolting floh vor den Nazis nach Schweden

Von FRANZ KÜPPER

KALL. Durch die Arbeit der "Stolperstein"-Gruppe werden die jüdischen Familien, die einst in Kall lebten, wieder ins Bewusstsein gerufen.
Zur Vorstellung einer neuen Broschüre (siehe Kasten), die diesen Familien gewidmet ist, war Rolf Künstlicher aus Schweden angereist.
Seine Mutter Esther Nolting musste vor den Nationalsozialisten aus Kall flüchten.
Künstlicher berichtete nun über das Schicksal seiner Familie – und leistete durch seinen Besuch einen wichtigen Beitrag zur Versöhnung.
Künstlicher, 1945 als Gidion Nolting geboren, war nicht zum ersten Mal in Kall.
Vor 18 Jahren besuchte er das einstige Haus seiner Mutter, ging zum jüdischen Friedhof.
Annika Schmitz, Gymnasiastin des Steinfelder Hermann-Josef-Kollegs, das an den Recherchen zur jüdischen Geschichte in Kall beteiligt war, kontaktierte den Stockholmer.
"Ich war überrascht und stark berührt", berichtete er: "Die Schülerin wollte Informationen über meine Familie. Es war, als wäre die Familie wiedergeboren."
Künstlicher sagte, dass ihm die Arbeit, die die Stolperstein-Gruppe leiste, stark imponiere: "Durch diese Arbeit habe ich die Familie meiner Mutter und meiner Verwandtschaft zu sehen bekommen."
Er könne erahnen, wie das jüdische Leben vor dem Krieg in Kall war.
"Die Trauerarbeit, die in Kall und in Deutschland ausgeführt wird, ist einmalig in Europa", sagte Künstlicher.
Er habe immer wieder mal in Europa Widerwillen gespürt, in der dunklen Vergangenheit zu graben – nicht zuletzt auch in seinem Heimatland Schweden.
"Es ist, als wolle man die ganze Schuld Deutschland übergeben. Aber der Nationalsozialismus verführte große Teile der Bevölkerung Europas. Judenhass gab und gibt es überall."
Ein großer Teil Künstlichers Verwandtschaft lebte in Kall.
Seine Großmutter Hedwig Nolting wurde im Konzentrationslager ermordet.
Getötet wurden auch seine Tanten Ella und Ruth sowie sein Onkel Norbert.
Seine Mutter überlebte den Holocaust.
Mit 14 Jahren verließ sie ihr Elternhaus.

Unbekannte Spuren

Durch eine jüdische Jugendbewegung kam sie mit 15 Jahren auf einen Bauernhof in Dänemark.
Als die Nationalsozialisten 1943 in Dänemark mit der sogenannten "Judenaktion" begannen, gelang es ihr, mithilfe der Widerstandsbewegung nach Schweden zu fliehen.
Hier lernte sie ihren späteren Mann, den aus Frankfurt stammenden Juden Erich Künstlicher kennen.
Esther Künstlicher kam nach dem Krieg mehrmals nach Kall, wurde im Oktober 2001 im Rathaus empfangen.
Ebenfalls besuchte sie das Grab ihres Großvaters Nathan auf dem jüdischen Friedhof in Kall.
"Mein Mutter hatte in Schweden ein gutes Leben", sagte Künstlicher.
Jedoch: Die Wurzeln seiner Mutter seien auch seine Wurzeln.
"Die Erfahrungen haben ihr Leben geprägt – ohne dass sie gewusst hat, wie stark. Was für sie nicht erkennbar war, wurde für mich unbegreiflich und hat tiefe Spuren in mir hinterlassen."
Diese teilweise unbekannten Spuren seien es, die er "seine Wurzeln aus Kall" nenne.
Die Familie Nathan-Nolting gibt es in Kall nicht mehr.
"Fakten, die wir akzeptieren müssen und worüber wir trauern können", so Künstlicher.
Die Arbeit der Stolperstein-Gruppe helfe, damit umzugehen.

BROSCHÜRE PRÄSENTIERT

Was ist geblieben von der jüdischen Gemeinde in Kall?
Der Friedhof oberhalb der Berufsschule, der Gedenkstein an der Stelle der ehemaligen Synagoge gegenüber der VR-Bank Nordeifel und 23 Stolpersteine zur Erinnerung an die Menschen, die einst in Kall lebten.
Über den Leidensweg mancher Opfer ist der Arbeitskreis gut informiert, von vielen aber kennen sie weder Todesort noch –stunde.
Der Arbeitskreis Stolpersteine Kall hat eine Broschüre erstellt, die das Ergebnis einer aufwendigen Recherche-Arbeit ist und über das Schicksal der Kaller Juden berichtet.
Der Kölner Rolly Brings hatte sich spontan bereiterklärt, die Veröffentlichung der Memoiren "Ein Stein. Ein Name. Ein Mensch." auf seiner Gitarre musikalisch zu begleiten.
Künstler Brings besang unter anderem das Schicksal eines Kölner Juden namens David.
Wie Arbeitskreissprecher Georg Toporowsky erklärte, sei es vor allen Dingen dem hartnäckigen Interesse am Schicksal der Kaller Juden und dem ernsthaften Engagement von Horst Thiesen und Hubert Büth zu verdanken, dass die 51-seitige Farbbroschüre entstanden sei.
Zu erhalten ist diese Broschüre gegen eine Spende an der Bürgerinformation der Gemeinde Kall im Rathaus.
2000 Exemplare wurden zunächst gedruckt.
(küp)

[Text unter dem Foto von Küpper]:
Den Gedenkstein, der an die Kaller Synagoge erinnert, besuchte Rolf Künstlicher bei seiner aktuellen "Spurensuche" in der Eifel.

 

Siehe auch die Rede von Rolf Künstlicher

 

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