Späte Ehre für Edelweißpiraten
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Kölner Stadt-Anzeiger – KÖLN – Donnerstag, 7. April 2011 – Seite 24

Späte Ehre für Edelweißpiraten


KEINE EINIGKEIT

CDU blockiert Jean Jülichs Ehrenbürgerschaft


VON HELMUT FRANGENBERG


Die drei Edelweißpiraten Gertrud „Mucki“ Koch, Fritz Theilen und Wolfgang Schwarz bekommen das BundesverdienstkreuzOberbürgermeister Jürgen Roters wird die Ehrung des Bundespräsidenten an die Kölner weitergeben. Die Verleihung ist für nächste Woche geplant. Die drei kommenden Verdienstkreuzträger, alle mittlerweile weit über 80, gehörten in der NS-Zeit zu dem Kreis der „Edelweißpiraten“, eine unangepasste Jugendgruppe, die die NS-Herrschaft ablehnte, sich der Unterordnung verweigerte und deshalb verfolgt wurde.

Die späte Ehrung der drei dürfte die festgefahrene Debatte über eine Ehrenbürgerschaft für den bekanntesten Exponenten der Edelweißpiraten neu beleben. Jean Jülich, der in diesem Monat 82 Jahre alt wird, hat das Bundesverdienstkreuz schon vor 21 Jahren bekommen. Ähnlich lang wird schon diskutiert, das kölsche Original auch zum Ehrenbürger zu machen. Vor allem Kölner Künstler haben das immer wieder gefordert. Auch eine breite Mehrheit im Stadtrat wäre sicher, doch das scheint nicht zu reichen. „Ich glaube nicht, dass wir das mitmachen könnten und sollten“, sagt CDU-Fraktionschef Winrich Granitzka. Die Entscheidung wäre in seiner Fraktion wohl nicht konsensfähig. „Offiziell“ darüber diskutiert habe man jedoch auch noch nicht. Dazu müsste der Vorschlag erst einmal fundiert begründet werden, sagt Granitzka und verweist auf die Debatten der Vergangenheit um die Frage, ob man die Edelweißpiraten denn nun als Widerstandskämpfer bezeichnen dürfe oder nicht. Das Problem: „Offizielle Diskussionen“ über Ehrenbürgerschaften sind nicht vorgesehen. Das Verfahren läuft immer informell, sagt einer, der das städtische Protokoll kennt. „Es wird sondiert und gesprochen, und erst wenn klar ist, dass es einen fraktionsübergreifenden Konsens gibt, kommt es zur Entscheidung.“

Darauf weist auch SPD-Fraktionschef Martin Börschel hin. Über Ehrenbürgerschaften werde „einvernehmlich“ nach „vertraulichen Debatten“ entschieden. Die Überlegungen, Jülich auf diese Art zu ehren, seien alt. An der politischen Gemengelage habe sich jedoch wenig geändert. Mit anderen Worten: Solange die CDU als zweitgrößte Fraktion im Rat nicht mitmacht, wird es wohl keine Ehrenbürgerschaft für Jean Jülich geben. OB Roters, der sich schon in seiner Zeit als Regierungspräsident für die Würdigung der Edelweißpiraten einsetzte, hat sich immer wieder für eine Ehrenbürgerschaft ausgesprochen. Zum aktuellen Stand der Debatte will er sich nicht äußern. Das sei kein Thema für die Öffentlichket.

Jülich selbst möchte nicht, dass eine Entscheidung über eine Ehrenbürgerschaft im Konflikt fällt. Er hofft auf seine vielen Freunde, die er auch in der CDU hat. Daraus, dass ihm die Ehrung sehr gefallen würde, macht er keinen Hehl: „Ich wäre ein Ehrenbürger zum Anfassen.“ Gesundheitlich gehe es ihm nicht so gut, sagt er. Besuche in Schulklassen oder anderen Gruppierungen, die er jahrzehntelang genutzt hat, um über seine Zeitzeugenerinnerungen zu sprechen, schaffe er nicht mehr. Auch im Karneval müsse er etwas kürzertreten. „Meine Sinne sind aber okay. Und zur Mobilität habe ich jetzt einen klasse Hochleistungs-Rollator mit Servolenkung.“


Alexandra Kassen als 24. Ehrenbürgerin?

Im Rathaus wird offenbar darüber diskutiert, die Prinzipalin des „Senftöpfchens“, Alexandra Kassen, zur Ehrenbürgerin zu machen. Die 88-jährige, bekannt für ihre Hüte, lebt seit mehr als 50 Jahren für ihr Theater, das sie mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann Fred Kassen eröffnet hatte. „Im Gegensatz zu Jülich“ sei das eine Kandidatin, über die man schnell einen Konsens finden könne, sagt CDU-Fraktionschef Winrich Granitzka.

Ebenfalls als Ehrenbürger im Gespräch ist Fritz Schramma. Seine Vorgänger sind nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt zu Ehrenbürgern ernannt worden. Seine Leistung sei jedoch anders zu bewerten, weil er im Gegensatz zu seinen Vorgängern als hauptamtlicher OB tätig gewesen sei, heißt es bei den Kritikern des Vorschlags. Die Ehrenbürgerschaft ist die höchste Auszeichnung, die die Stadt vergeben kann. Köln hat derzeit 23 Ehrenbürger. (fra)

KOMMENTAR
Zur Diskussion um neue Ehrenbürger

Jean Jülich nicht übergehen

HELMUT.FRANGENBERG@MDS.DE

Im Rathaus werden offensichtlich neue Kandidaten für die Ehrenbürgerwürde gehandelt. Unabhängig von der Frage, wer diese höchste Auszeichnung der Stadt denn in Zukunft verdient oder nicht: Jede neue Ehrung wäre peinlich, wenn Jean Jülich übergangen würde. Die Bedenken, die da ins Feld geführt werden, taugen nicht als Gegenargument. Sie knüpfen an die hochemotionale, undifferenzierte Nachkriegsdebatte um die historische Einordnung der Edelweißpiraten an. Diffamierten die einen sie als Kriminelle, glorifizierten andere sie als Helden des Widerstands. Solche ideologischen Grabenkämpfe sollten überwunden sein. Die Geschichtswissenschaft hat alle Fragen beantwortet. Sollte es – zum Beispiel in der CDU – noch Zweifel geben – das stadteigene NS-Dokumentationszentrum kann sie ausräumen.

Eine Ehrung Jülichs – stellvertretend für andere Edelweißpiraten – wäre ein stolzes Bekenntnis der Stadt zu einer unangepassten Jugendgruppe im Dritten Reich, die sich nicht vereinnahmen ließ. Sie wäre aber auch die Würdigung einer Lebensleistung, die weit darüber hinausgeht. Unermüdlich und ehrenamtlich hat Jülich dafür gesorgt, dass junge Menschen von den Erinnerungen der Zeitzeugen erfahren, damit nicht vergessen wird. So entstanden neue Impulse und Bezugspunkte, die immer wieder das kulturelle und politische Leben der Stadt beeinflussten.

Darüber hinaus hat Jülich selbst kölnische Kultur und Tradition gepflegt, und das nicht nur durch sein langjähriges Engagement als Karnevalspräsident. Einen ehemaligen Büdchenbesitzer und Wirt zum Ehrenbürger zu ernennen, hätte einen ganz eigenen Charme im langen Reigen herausragender Persönlichkeiten, die Köln hervorgebracht hat. Jean Jülich ist ein kölsches Original.

Von HELMUT FRANGENBERG

 


 

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