Ein Mahnmahl für Zivilcourage
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Kölner Stadt-Anzeiger / Quer durch Köln / Dienstag, 14. September 2010 / Seite 34 / 35


Ein Mahnmal für Zivilcourage


EDELWEISSPIRATEN / Wandbild erinnert an die von den Nazis ermordeten Jugendlichen


VON OLIVER GÖRTZ


Ehrenfeld. Eine graue, gesichtslose Armee marschiert aus Köln heraus in Richtung einer brennenden Synagoge, sie marschiert nach rechts. Über ihnen, nach links, segelt ein buntes Piratenschiff, pflügt durch das Meer der Soldaten, der Stadt entgegen. Gesteuert wird das Boot von fröhlichen, leicht chaotischen Freibeutern, die in ihrer Individualität der Gegenentwurf sind zu dem gleichför­migen Heer, das sie mit Spott und Schmutzwasser überschütten. Es sind die Edelweißpiraten, jene Gruppe Kölner Jugendlicher, die in der Grauzone zwi­schen politischem Widerstand und zivilem Ungehorsam gegen die Nationalsozi­alisten kämpften. Sie thronen über den Köpfen der faschistischen Schergen. So zeigt es das große Wandgemälde am Bahndamm an der Ecke Bartholomäus-Schink-Straße / Venloer Straße. Hier wurden am 10. November 1944 dreizehn [Widerstandskämpfer, unter ihnen] Edelweißpiraten von der Gestapo gehenkt. Öffentlich, ohne Gerichtsurteil. Deshalb soll an dieser Ecke [am] Mahnmal [ein zusätzliches Wandgemälde] entstehen, um der jugendlichen Widerständler ge­denken zu können. Dies hat sich das „Kuratorium zur Herrichtung des Edel­weißpiraten-Mahnmals“ – ein Verbund aus Künstlern, Politikern und enga­gierten Bürgern – zur Aufgabe gemacht. Am kommenden Donnerstag, 16. September, wird die Gedenkstätte mit einem Fest eröffnet.

Die Kölner Graffiti-Künstler John „Heart“ Iven und Ron „Love“ Voigt, die zusammen unter dem Namen Captain Borderline auftreten, haben das impo­sante Wandbild entworfen, das kurz vor seiner Vollendung steht. Neben Solda­ten und Piraten lassen die Maler etliche Edelweiß-Blüten sprießen. In [vielen] von ihnen stehen die Namen der getöteten Kämpfer [und im Oktober 1944 an dieser Stelle ermordeten Zwangsarbeiter]. Ein Stromkasten vor der Wand wurde kurzerhand zum Buch „Mein Krampf“ (statt „Mein Kampf“) umbemalt, dessen Deckel eine abstoßende Fratze Adolf Hitlers zeigt. Auf einem weiteren Bereich haben sie eine Zeichnung des Musikers Rolly Brings übertragen. Sie zeigt einen [trauernden] Musiker, der durch eine Tür auf die am Galgen baumelnden Edel­weißpiraten blickt. Darunter, in [vielen] Sprachen, die in Ehrenfeld gesprochen werden, hat Brings die Sätze geschrieben: Edelweißpiraten haben sie sich ge­nannt. Wo diese Blume blühte, da war Widerstand.

Ich bin ein Ehrenfelder Kind“ sagt Rolly Brings, der die Aktion mitinitiiert. „Meine Verwandten haben mir diese Stelle gezeigt und gesagt: ‚He han se die Junge opjehange’“, begründet der Musiker seine Verbundenheit mit den Edel­weißpiraten. Brings hat mit Überlebenden der Widerstandsgruppe gesprochen, sich von ihren Aktionen aus erster Hand berichten lassen. Aber auch von ihren Zweifeln. Wenn die Jugendlichen in Ehrenfeld einen Güterzug mit Proviant für deutsche Soldaten entgleisen ließen, um die Lebensmittel an die Menschen im Stadtteil [und im Untergrund] zu verteilen, fürchteten sie andererseits, dass da­durch ihre Väter an der Front hungern könnten.

Mit feuchten Augen

Sie haben in schwärzester Nazi-Zeit Widerstand geleistet – auf ihre Art: Sie wollten leben, sie wollten frei sein“, sagt Musiker Brings, der für sie [einige] Lieder komponiert hat. Der Bereich [rechts vom Mahnmal] am Bahnbogen war zuvor eine schmuddelige, finstere Stelle, für die Brings die treffende Bezeichnung „Pissecke“ findet. Dieser zeitgeschichtliche Ort „soll nun ein würdiges Aussehen bekommen“, sagt der Musiker. Das große Gemälde soll erst der Anfang sein. „Wir brauchen hier eine Beleuchtung und ein neues Straßenpflaster“, erklärt Brings. Mit der Verwaltung der Bahnbogen steht das Edelweiß-Kuratorium in Verhandlung, um dort eventuell ein [Erzähl- und Geschichts-] Café einzurichten.

Während John und Ron an dem Bild pinseln und sprayen, bleiben immer wieder Passanten stehen, manche verharren minutenlang, um die vielen Details zu er­fassen. Die simple Symbolik – graue Nazi-Soldaten marschieren nach rechts, bunte Edelweißpiraten segeln nach links – ist leicht verständlich. Eine alte Dame schaut auf das Bild und bekommt feuchte Augen. Sie kennt diese Stelle genau: „Ich habe damals gesehen, wie sie den Galgen aufbauten. Ich wusste, was pas­sieren soll. Dann bin ich nach Hause gegangen und habe geweint.“

Junge Kölner rufen zum Widerstand gegen brauen Machthaber auf

Die Edelweißpiraten waren eine Widerstandsgruppe von zumeist jugendlichen Kölnern, die gegen das Nazi-Regime in ihrer Stadt aufbegehrten. Ihre Aktionen reichten von [verbotenen Treffen und Fahrten, dem Singen verbotener Lieder, dem Verweigern des Dienstes in der Hitlerjugend], Sabotage-Akten etwa an Ei­senbahnen der Wehrmacht, dem Verteilen von Flugblättern mit Aufrufen zum Widerstand bis hin zum Verstecken von Juden [Deserteuren und entflohenen Zwangsarbeitern] vor Gestapo, SS und SA. [Oktober und November] 1944 wur­den [Zwangsarbeiter und Widerstandskämpfer, unter ihnen] Edelweißpiraten an der [heutigen] Bartholomäus-Schink-Straße öffentlich gehenkt.

Doch die Jugendlichen und deren Taten wurden bis in die 80er Jahre kriminali­siert. Für manche waren die Aktivisten renitente Heranwachsende und deren Aktionen schlichtweg Randale und Gaunerei. Nur langsam entwickelte sich das Bewusstsein, den Edelweißpiraten eine politische Gesinnung zuzugestehen.

Bis heute tut sich die Politik schwer mit der Stadt-Guerilla. Seit geraumer Zeit setzen sich Initiativen wie das „Kuratorium zur Herrichtung des Mahnmals für die Edelweißpiraten“ dafür ein, den noch lebenden Edelweißpiraten Jean Jülich zum Ehrenbürger zu ernennen. Doch eine Mehrheit im Stadtrat für dieses An­sinnen ist noch nicht zu erkennen. Dem Vernehmen nach wird es unterstützt von Oberbürgermeister Jürgen Roters, SPD, Grünen und der FDP, die CDU ziert sich noch.

Das Edelweiß-Kuratorium lädt Donnerstag, 16. September, 18 Uhr, Ecke Bartholomäus-Schink-Straße / Venloer Straße zur Eröffnung des Wandgemäldes ein. Musik gibt es von den Bläck Fööss, dem Markus Reinhardt Ensemble, der israelischen Künstlerin [Navit] und Rolly Brings & Bänd. Zudem werden Rezitationen [und Ansprachen] zu hören sein.

Um die weitere Gestaltung des Gedenkbereichs – etwa durch eine Beleuchtung – zu finanzieren, bittet das Kuratorium um Spenden.

Informationen hierzu sowie zum Kuratorium sind im Internet zu finden, auf der Website von Rolly Brings.

(og)

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