Köln stellt sich quer“
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NRhZ – ONLINE

Neue Rheinische Zeitung – Aktueller Online-Flyer vom 24. September 2008

Kultur und Wissen

Interview mit Rolly Brings: Ein klarer Appell für Aufklärung

„Ich bin scharf intolerant“

Von Christian Heinrici

Viele kennen den engagierten Musiker nicht erst seit 1986, als er samt Band sein erstes Album herausbrachte – Rolly Brings ist genauso als Schriftsteller, Gewerkschafter, Lehrer, Vater einiger Rockmusiker und durch sein unermüdliches Engagement gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bekannt – dabei ist er „furchtbar intolerant“. Wie passt das zusammen? Christian Heinrici führte mit ihm am 20. 9. und am Rande des „Arsch-huh-Konzerts“ ein Interview zur Aufklärung im doppelten Wortsinn – die Redaktion.

Lieber Rolly Brings, schön, dass wir hier am Rande des Konzerts sogar etwas länger Gelegenheit zu einem Gespräch haben: über den wachsenden Rassismus, wie man damit umgeht, vielleicht über Toleranz ...

Ich bin froh über dieses Interview, jetzt kann ich endlich mal das los werden, was mir hier in der ganzen Diskussion (...) zu kurz kommt.

Erster Satz:

Der Rolly ist kein toleranter Mensch, ich bin ganz scharf intolerant! Tolerant zu sein bedeutet vom Wortsinn her und leider auch in der geschichtlichen Entwicklung, jemanden zu dulden, nach dem Motto: Ich dulde dich ... ich mag dich zwar nicht, du bist mir zuwider, aber ich dulde dich ... Doch irgendwann wird die Duldung, die Toleranz aufgekündigt, dann brauche ich dich nicht mehr, dann hast du eine Grenze überschritten, die sehr oft auch ökonomisch ist, also, von mir aus, auch sehr egoistisch ist, und dann kündige ich dir die Toleranz auf ... dann bist du dran!

Dies ist beispielsweise den jüdischen Gemeinden im Rheinland zweitausend Jahre lang passiert. Mal bekamen sie ein „Toleranzedikt“ von einer Stadt, von einem Adeligen, Fürsten, König oder Bischof. Mal wurde das Toleranzedikt ausgesetzt – dann wurden sie abgeschlachtet, vertrieben, zwangsgetauft. Und wenn die Wirtschaft in diesem Gebier wieder darniederlag, wenn das Geldwesen nicht mehr rotierte, wenn der Handel kaputt ging, dann hat man, obwohl man die Gemeinde gerade in einer Nacht vorher abgeschlachtet hatte, sechs Wochen später die Leute wieder „hereingelassen“ ...

Das ist Toleranz, und Toleranz lehne ich ab!

Zweiter Satz:

Ich bin zu einer streitbaren, kritischen und auf Auseinandersetzung angelegten Solidarität erzogen. Solidarisch sein bedeutet: Ich mache deine Sache zu meiner! Und was uns aneinander stört, das werden wir ausdiskutieren, das werden wir ändern, aber immer im Dialog und immer ohne Gewalt. Das heißt: Wenn ich mich solidarisch mit dir erkläre, kann ich die Solidarität nicht aufkündigen, denn wenn ich mit dir und deinen Wünschen, deinen Sorgen und deinen Ängsten solidarisch bin, bin ich auch mit mir selbst solidarisch. Ich nehme dich ernst, weil ich mich selbst ernstnehme, und das ist der große Unterschied zur Tolerranz.

Über was sollte denn dieser kritische Dialog stattfinden?

Ich will aus meinem Erfahrungsbereich berichten: In meiner Zeit als Haupt- und Gesamtschullehrer habe ich interveniert – auch wenn mein Kollegium wegguckte oder mit den Achseln zuckte nach dem Motto: Das ist eben bei denen so – wenn ich merkte, dass ein Junge oder ein Mädchen mit „Migrationshintergrund“ in meiner Klasse war, der oder das irgendwie traurig wirkte oder blaue Flecken hatte. Da habe ich interveniert und so lange gefragt, bis ich herausfand, dass das Kind geprügelt worden war. Dann bin ich in die Elternhäuser gegangen – in der ersten Zeit immer mit einem Freund, einem türkischen Lehrer, der für mich übersetzt hat. Und dann habe ich dort auf den Putz gehauen. Ich habe den Eltern zu verstehen gegeben, dass ich [ihr Prügeln] bemerkt habe und dass ich es nicht akzeptiere, egal, welche Argumente bezüglich Brauchtum, Sitte, Religion oder was weiß ich [sie mir entgegenbrachten] und habe gesagt: Noch einmal, und ich werde euch anzeigen!

Im Dialog mit Menschen, die in unser Land kommen mit anderem Hintergrund, anderen Sitten, anderen Bräuchen, muss ich ihnen sagen, dass ich ihre Sitten und Gebräuche sehr hochschätze, wenn sie mit den Menschenrechten, unserem Grundgesetz, unserer Verfassung und unserer Demokratie konform gehen, und dass ich hier mit ihnen und ihren Kindern eine Zukunft aufbauen will – ohne Gewalt, auch ohne psychologische Gewalt, auch ohne religiöse Gewalt ...

Dass ich gegen die Ideologien von gestern, die Naziideologie, den Totalitarismus, den Rassismus, den religiösen Fundamentalismus bin, versteht sich von selbst. Ich sage es noch einmal klar: Meine Arme öffne ich für jeden, der in unser Land kommt und mit mir zusammen die Demokratie = Freiheit nach vorne bringt! Für alle anderen bin ich nicht zu haben!

Man kann ja aber auch den Eindruck haben, dass der Fundamentalismus eben auf der Seite derer wächst, die hier schon länger einheimisch sind ...

Natürlich. Wenn wir über Fundamentalismus reden, meine ich auch ein gewisses Kirchenoberhaupt hier in Köln, der es wagt, die Kunst, die hier produziert wird und die natürlich provokant ist, als „entartete Kunst“ zu bezeichnen, oder der es bei einem Aufenthalt in Ungarn wagt, über Schwule und Lesben herzuziehen, der es wagt, in das einzugreifen – nachdem wir uns mittels Aufklärung und demokratischer Kämpfe im Laufe der Geschichte endlich von der Vorherrschaft der römisch-katholischen Kirche befreit haben – der es wagt, uns vorzuschreiben, wie wir zu leben haben.

Natürlich, Fundamentalismus – egal, aus welcher Ecke er kommt: Weg damit!

Rolly Brings, vielen Dank für dieses Interview!


© Christian Heinrici

Rolly Brings auf der Bühne beim „Arsch-huh-Konzert“ am 20.9. in Köln

© Christian Heinrici Brings sang eine sehr schöne neue Version von „Morje, morje“.


Weitere Fotos [ www.koeln-fotografisch-erleben.de ]

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