LINKE MELANCHOLIE

"logbuch eins"

des Poeten und Sängers Rolly Brings

aus:

Literaturkritik "neues rheinland"

Jahrgang 44, Nummer 1, Seite 40

von Franz Norbert Mennemeier

 

Der Kölner Rolly Brings, Jahrgang 1943, hat eine nicht gerade konventionelle Biographie. Ehe er als Lehrer für Deutsch, Englisch, Geschichte und Politik sich schön ordentlich ins bürgerliche System eingliederte, war er Seemann, Maschinenschlosser (liest man), zeitweilig auch "Emmaus-Lumpensammler". Da hatte er also reichlich Gelegenheit gehabt, auch die unteren Abteilungen der Gesellschaft näher kennen zu lernen.

Doch auch heute noch ist Brings alles andere als der typisch deutsche Beamte und Lehrer. So unterhält er enge Beziehungen zum Volk der Kölner. Dem Genius des Kölnischen Dialektes, der trotz zeitbedingter Widerstände offenbar nicht totzukriegen ist, hat Brings als Textschreiber und Sänger der von ihm gegründeten "BÄND" ausgiebig mit diversen Musikbüchern (und Konzept-alben) gehuldigt.

Deren Titel lauten etwa so:

"irjendwo dovöre / irgendwo da vorne" (1986),

"für ein besseres Morgen" (1986),

"Minsche / Menschen" (1989),

"mer kumme wick her / wir kommen weit her"

(Rolly Brings und BÄND spielen Heinrich Böll) (1993),

"mer verjesse nit / wir vergessen nicht" (1994),

"Sonnebrell / Sonnenbrille" (1995),

"Museum" (1997),

"1848 vun unge / von unten" (1998) und

"logbuch 1" (1999).

Wie schon einige dieser Titel, auch in Anlehnung an den von Brings hoch geschätzten Böll, verraten, sucht dieser Liederdichter seinen Hörern offen-kundig stets mehr zu bieten als bloß ein paar Spritzer von der karnevalistischen Grundsuppe des ominös-vielschichtigen Kölner Humors: Da sollte immer etwas von einem humanistischen Engagement sichtbar werden, und das "Prinzip Hoffnung", durchaus mit sozialistischem Einschlag, spielte keine geringe Rolle.

Brings, der 68er - er verleugnete sich nicht.

Allerdings, die Zeiten haben sich gewaltig verändert. Die vor wenigen Jahren noch gehätschelten Ideologien sehen plötzlich altbacken aus, und das ist noch freundlich ausgedrückt.

Da ist man also neugierig darauf, wie das jüngste Opus Rolly Brings’, ein Buch, nicht im Kölnischen Dialekt verfasst, auf die Lage reagiert.

Zunächst muss man konstatieren, dass dieser Autor nicht nur "Lieder" schreibt (und auch die "Lieder" sind bei ihm alles andere als lyrische Poeme, die den Ohren schmeicheln). Vielmehr, Brings schreibt hier Texte verschiedener Art, auch solche, die künstlerisch Bestand haben ohne Mitwirkung von Gitarre und Keyboard.

Es gibt kurze Formen, darunter nicht wenige, die epigrammatisch zugespitzt sind. (Bisweilen meint man den Redegestus des Bertolt Brecht etwa der "Kriegsfibel" zu vernehmen.)

Es gibt lange, freirhythmische Gebilde, manche mit schlagkräftigem (Binnen-) Reim.

In den einen wie in den anderen werden reichlich Materialien aus Politik und Geschichte verarbeitet, wobei oft zugleich Privates aus dem Familienleben wie selbstverständlich hineingemischt wird.

Einige Gedichte haben subjektiv-anekdotischen Charakter, die meisten inten-dieren eine mehr generelle Aussage.

Alle haben einen herben, unsentimentalen Ton. Der Ausdruck von Gefühlen wird karg gehalten, wie auch die Verse, auch die fürs Singen geschaffenen, selbst die mit Reimen, die Nähe zum Prosaausdruck suchen.

Bloß keine "Poesie!" heißt die latente Devise.

Brings - das ist als das Wesentliche hervorzuheben - hat diesem eindrucksvollen poetischen Vielerlei die Struktur eines individuellen poetischen Erinnerungsbuches gegeben, das zugleich, explizit und nachdrücklich, eine Art Chronik der Jahre 1949 bis 1973 darstellt. Das ist für ein lyrisches Textbuch und Liederalbum gewiss eine höchst ungewöhnliche Form. Insofern unterscheidet sich die neue Gedichtsammlung erheblich vom tradierten Genre der Lyrik als subjektiver Gattung, auch von allem feinsinnig-hermetischen Verseschreiben.

Dies ist ein Gedichtbuch - und will zugleich ein Geschichtsbuch sein.

Brings, der Ex-Seemann, nennt, was er da zustandegebracht hat, ein "logbuch". Das erweckt den Eindruck, die Verse basierten auf Eintragungen, die sukzessiv, mehr oder minder in strikter Tuchfühlung mit der Echtzeit vorgenommen worden sind. Kann sein, dass der Verfasser bisweilen in der Tat auf Notizen solcher Art zurückgreifen konnte. Vieles, insbesondere der, bei allen Unterschieden, relativ einheitliche Stil und Ton des Ganzen, spricht allerdings für eine andere Entstehungsweise: dass hier im Nachhinein, orientiert am Leitfaden der Jahresdaten und angefertigt im Licht einer persönlichen, auch parteiischen Wahrnehmung, eine Chronik der großen geschichtlichen Ereignisse und kleinen, privaten Begebenheiten im Zeitraum einer Generation vorgelegt wird.

Spürbar äußert sich einer, der auf die Sechzig zugeht und der auf die Jahre seiner Kindheit, seiner Jugend und seine Zeit als Mann zurückschaut, einer, der seine Erinnerungen und seine geschichtlichen Erfahrungen reflektiert und sondiert, der viele Träume begraben musste und der sich, vielleicht, einige bewahrt hat.

Viele sind es nicht! Das letzte Gedicht "endlos die see", scheint insofern symbolisch. Es handelt von einem Geisterschiff, von der Suche nach einem weißen Wal, der halb verrückte Kapitän heißt Ahab, und am Schluss wird alles, Mannschaft und Schiff, von einem Ungeheuer namens Leviathan in den tödlichen Strudel gerissen.

Das Ich schaut sich selber zu, wie es zugrunde geht. Was sich in diesem Ge-dicht, schäbig-pathetisch, im Seemannsballaden-Klischee, aktualisiert (stil-istisch eher eine Ausnahme im übrigen Kontext), ist offenbar der Galgen-humor einer spezifisch linken Melancholie, parodierte Beerdigung der einstigen 68er-Utopien.

Eindimensional ist der politische Horizont indes nicht, der hier am Ende vieler Turbulenzen, bei sinkenden Zeigern der geschichtsphilosophischen Sonnenuhr, sichtbar wird.

Die Melancholie des Rückblicks ist nicht ohne Souveränität. Die kritische Reflexion greift zwar auch in der Erinnerung, insofern unversöhnt noch immer die Akteure der ungeliebten konservativ-bürgerlichen Rechten an, sie verschont aber auch nicht die kommunistischen und "real-sozialistischen" Systeme, die schon früh den Argwohn erregten. Hauruck-Denken ist dem Autor fremd. Sein literarischer Geschmack ist offen für Verschiedenartigstes. Brings liebt Böll, aber auch Camus, Celan und Nelly Sachs.

Auffallend, wie wenig, bei diesem Sympathisanten des Volks, die urtümliche Sphäre des Sex einbezogen wird. "wollust" heißt eines der vielen Kurzgedichte und es geht so: "was ich empfand / als ich zum ersten mal die / bibliothek der hochschule betrat / wollust / wie ein sultan im harem".

Der erklärte Atheist verfügt über religiöses Feingefühl, wie u. a. die Martin Buber gewidmeten Zeilen "toter chassid" beweisen.

Phantasie ist reichlich vorhanden. Der Humor artet selten ins Drastische aus. Originell und witzig, ein leicht ins Groteske hinübergespielter Lobgesang auf weibliche Emanzipation, ist die poetische Paraphrase über Max Ernsts provo-kantes Gemälde "Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor Zeugen".

Eines der auffallendsten Stilmittel, wiederkehrend verwandt, ist in diesem Buch die systematische Chaotisierung des durch die offiziellen Geschichts-bücher und politischen Verlautbarungen eingeschliffenen Diskurses. Was zunächst besseres Kalauern und bloßes Satzzertrümmern scheint, erzeugt bei Brings unversehens kritische, manchmal sogar tiefsinnige Pointen. Mehr noch wird auf diese scheinbar simple, wortspielende Weise ein suggestiver Ausdruck für eine profunde geschichtliche Enttäuschung, ein Wertgefühl dicht am Absurden geschaffen.

Die den Band ergänzende CD, auf der man den Poeten mit graziöser Melancholie seine Verse sprechsingen - soll man sagen rappen? - hört, unter-streicht diesen Aspekt. Die Texte und die dezent jazzige Musik zusammen-genommen, erhält man einen plastischen Eindruck von einer beachtlichen Kölner Performance.

 


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Rolly Brings:

 

 

 

Rolly Brings & BÄND:

"logbuch eins"
gesammelte texte 1949-1973
Lyrik im Verlag Landpresse Weilerswist 2000
188 Seiten, DM 38,- ISBN 3-930137-99-2

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